“Hässliches Gesicht”, “Fratze”, “Schlauchbootlippen”, “zweifelhaft”, “Laien”, “scheinbare Meinungsfreiheit”, “Mob”, “Manipulation”, “unseriös”, “Lächerlichkeit”, “Nonsense”, “Verschmutzer des Internet” – nein, hier ist nicht, wie man zunächst denken möchte, von Universitätsprofessoren die Rede, sondern vom Internet. Pardon, in diesen Kreisen sagt man ja “Selbstmach- und Mitmachweb”, damit auch dem letzten Ignoranten deutlich wird, dass nicht die Onlineausgabe von Max Webers Werken gemeint ist, sondern der nicht mehr zu bewältigenden Flut des “User-generated Nonsense”.
Dieses Mal erklärt Oliver Bendel – er ist “Germanist und Philosoph und arbeitet als Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz” – uns auf Telepolis das ganze Grauen des Web 2.0. Man kann es auch in wenigen Worten zusammenfassen: Ein Ort, an dem eine bildungsbürgerliche Ikone wie Joachim Kaiser neben Gossenkindern wie den anonymen Amazon-Rezensentinnen zu finden ist, ist ein böser Ort.
Hier könnte ich es eigentlich bei meiner Standardantwort beruhen lassen: “Lerne zu unterscheiden, und du wirst das Web lieben”. Auch ein Germanistikprofessor dürfte wenigstens im Prinzip erkenntnisfähig sein und (mühsam, aber dennoch) lernen können, einen nach allen Regeln der Literaturkritik verfassten MRR-Verriss von einem anonymen “Ist voll blöd das Buch!11!” zu unterscheiden. Auch wenn Google auf den Suchergebnisseiten diesen Qualitätsunterschied nicht farblich anzeigt. Wenn das Differenzierungsvermögen von dieser Aufgabe überfordert ist, ist das ein Problem der Medienkompetenz und kein Problem des Web 2.0!
Aber ich glaube, dass es hier um mehr geht als das bloße Überfordertsein eines Gutenbergianers, der sich widerwillig in der McLuhan-Galaxie zurechtfinden muss. An einigen Stellen schwingt eine bedrohliche Tendenz mit, die nicht allein nach besseren Filtern oder Instrumenten für den eigenen Gebrauch ruft, sondern nach einem großer Reinigungsaktion im Mitmachweb. Am Germanistenwesen soll das Web genesen. Die Gegenüberstellung der “scheinbaren, grenzenlosen Meinungsfreiheit” von Bloggern und Amazonschreibern (= “Rezensentenmob”) und der “echten Meinungsfreiheit” der kulturellen Elite von Gestern wäre ein Beispiel. Der folgende “Lösungsvorschlag” des Qualitätsproblems ein weiteres:
Wenn uns unsere Literatur etwas wert ist, sollten wir Talente mit ihr flirten und den Mob nicht über sie herfallen lassen.
Im Namen “unserer Literatur” (also des von der Literaturkritik bestimmten, definierten und verehrten Kanons) sollen also Meinungen von Laien ausgeklammert, ignoriert oder bekämpft werden? Von allen dämlichen Kampfschriften gegen das Internet der letzten Wochen ist das hier eindeutig die drolligste.